»Der Islam gehört zu Europa?«

mosaik
Europa auf dem Stier, Mosaik aus dem 3. Jhdt. N. Chr.,
ursprünglich aus Byblos (Libanon), jetzt im Nationalmuseum in Beirut

 

»Der Islam gehört zu Europa«, ja, schon, aber das ist zu kurz gesprungen. Besser wäre: Der Orient gehört zum Okzident. Europas älteste Wurzeln liegen am Sinai, in Jerusalem und in Ägypten. Europa, der Nahe Osten, Nordafrika und das Mittelmeer dazwischen bilden seit urdenklichen Zeiten einen zusammengehörigen Kulturraum.

Die Königstochter Europa, der Zeus der Sage nach in Stiergestalt begegnete, stammt aus dem Libanon. Das oben abgebildete Mosaik kommt aus Byblos, einer Hafenstadt nördlich von Beirut, die zu den ältesten Siedlungen der Welt zählt. Von hier aus stachen die Phönizier in See und trieben Handel mit den Ländern rund ums Mittelmeer.

Den Griechen brachten sie die Schrift und die Papyrusrollen. Von den Babyloniern und Ägyptern lernte Europa Astronomie, Mathematik, Kunst, Architektur und Literatur.

Aus dem Namen Byblos leiteten die Griechen das Wort biblion ab, das Buch, auf das wiederum das Wort Bibel zurückgeht.

Abraham, der Stammvater der Juden, Christen und Muslime, wandert mit seinem Vater zwischen Euphrat und Tigris von Ur (im Süden des heutigen Irak) nach Haran (in der heutigen Türkei) und von dort nach Kanaan und Ägypten. Der israelische Gründungsmythos ereignet sich auf dem Berg Sinai, wo Mose von Gott das Gesetz empfängt, aus dem die jüdische Religion entstand.

Der Jude Jesus, in Bethlehem geboren, in Nazareth aufgewachsen, mit seinen Jüngern um den See Genezareth herumgezogen, in Jerusalem verurteilt und auf Golgatha ans Kreuz genagelt, wird zum Gründer des Christentums. Bei Damaskus in Syrien wird aus dem Christenverfolger Saulus der Christusgläubige und Missionar Paulus, der die Botschaft des Jesus nach Europa bringt.

Im Jahr 610, so erzählt der nächste Mythos, erscheint einem Mann namens Mohammed auf dem Berg Hira in der Nähe von Mekka der Erzengel Gabriel und spricht ihm den Koran vor – der Islam, die dritte monotheistische Weltreligion entsteht, und aus ihr eine Kultur, die der europäischen während vieler Jahrhunderte überlegen ist. In islamischen Gelehrtenzentren wie Damaskus, Bagdad, Kairo, Alexandria und später auch Toledo werden wichtige Teile des griechischen Wissens bewahrt und übersetzt. Über sie gelangt später das antike Wissen zurück nach Europa. Vom Islam lernt Europa Architektur, Wissenschaft, Kunst und Medizin. Islamische Baukunst ist noch heute in Andalusien, in Cordoba (Mezquita) und in Granada (Alhambra) zu bewundern. Über einen langen Zeitraum hinweg haben Judentum, Islam und Christentum einander wechselseitig befruchtet und die Angehörigen der drei Religionen friedlich miteinander gelebt, und wo das geschah, gedieh die Kunst, machte die Wissenschaft große Fortschritte, führte der Handel zu blühendem Wohlstand.

Warum soll sich das nicht wiederholen lassen? Das lässt sich doch organisieren. Und wenn wir das tun, werden wir doch noch erleben, dass wir eines Tages mit dem Auto, dem Zug, dem Rad oder zu Fuß ums ganze Mittelmeer herumfahren oder -wandern und dabei durch eine einzige Zone des Friedens und Wohlstands kommen, in dem unterschiedlichste Menschen freundlich miteinander leben und arbeiten.

Wenn wir es wollen, bleibt es kein Traum.

(Christian Nürnberger, Die verkaufte Demokratie, S. 352 f.)


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Kommentare

2 Antworten zu „»Der Islam gehört zu Europa?«“

  1. Avatar von Franz
    Franz

    “Der Islam gehört zu Deutschland”. (Wie sinnvoll ist der Satz eigentlich?)

    Der Satz ist ähnlich mit “Das Tätowieren gehört zu Deutschland”.
    Denn: historisch gehört der Islam so wenig zu Deutschland wie das Tätowieren.
    Deutschland ist ein freies Land (Frei für Deutsche, und nicht “frei” im Sinne… Frei für Illegale Einwanderung).

    Der in Deutschland rechtens lebende Bürger, geniesst Freiheit. Dies beinhält auch die Freiheit des Deutschen Bürgers “sich zu Tätowieren”, oder “dem Islam beizutreten”.
    Aber zu behaupten, dass “der Islam zu Deutschland gehöre”, ist einfach ein Satz der nicht die richtige Balance hat.
    Was stark zu Deutschland gehört ist (unter anderem!) die Christliche Tradition und nicht der Islam.

    Ich schäme mich für Deutschland, wenn es den Bürgern in einer unverhältnismäßigen Weise verbreitet, dass der Islam zu Deutschland gehöre.
    Nein, in der Weise… gehört er nicht zu Deutschland. Statt dessen ist es die Freiheit (der Bürger), die zu Deutschland gehört. Das ist das höhere Gut.
    Es ist Blödheit, oder Unverantwortlichkeit, oder geziehlte Manipulation… wenn in einem selektiven Wahn von political correctness…. nebensächliche Tatsachen hervorgehoben werden; und den Bürgern untergerieben werden.

    1. Avatar von Nürnberger
      Nürnberger

      Ich habe diesen Satz nicht gesagt, lieber Franz. Er ist mir auch nicht besonders wichtig. Wichtig ist mir, dass wir mit den unter uns lebenden Muslimen in Deutschland und Europa friedlich leben, freundlich zusammenarbeiten und einander gelten lassen. Wichtig ist, dass Juden, Christen, Muslime, Atheisten und Agnostiker einander respektieren und versuchen, das Gute im jeweils anderen zu sehen. Und was die Geschichte betrifft: Christen haben Muslime erschlagen, und Muslime Christen. Beide haben Juden massakriert und Afrikaner versklavt. Beide haben geraubt, gemordet, gebrandschatzt, um Weltmacht zu werden. So war es meistens. Und in Deutschland hatten die sogenannten Deutschen Christen das Volk der Juden beinahe komplett umgebracht.

      Wenn Juden, Christen und Muslime aber mal friedlich miteinander gelebt und einander befruchtet haben wie einst in Andalusien, dann entstand Kultur, Fortschritt, Bildung. Noch heute kann man in Andalusien sehen, welch wunderbare Bauwerke und welch gepflegte Kulturlandschaften entstanden sind, als Christen, Juden und Muslime einander befruchteten statt bekämpften. Und die meisten Schriften der Antike hatten ursprünglich Muslime aufbewahrt, verwaltet und übersetzt. Ihnen verdanken wir überhaupt unser Wissen über die Antike.

      Wir könnten alle gemeinsam eine gute Zukunft haben, wenn wir uns freundlich umeinander bemühten. Und wir werden eine scheiß Zukunft bekommen, wenn jeder sein Eigenes großmacht und das Fremde voller Angst und Ressentiments kleinmacht.

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