Die Demokratie und ihre Simulationen

Die Akademie zum Dritten Jahrtausend: eine Vision von elektronischer Politik im Internet

Die Kirche denkt zwar in Jahrhunderten, aber ihr Output läßt in letzter Zeit doch stark zu wünschen übrig. Da kann es nicht schaden, daß wir neben der Kirche seit vier Jahren eine zweite Institution haben, die in noch größeren Dimensionen denkt und mehr Output liefert. Die ‘Akademie zum Dritten Jahrtausend’ des Münchner Verlegers Hubert Burda greife ‘vornehmlich solche Themen auf, die bisher in der öffentlichen Diskussion. . . unterrepräsentiert sind’, sagt die Akademie- Präsidentin Christa Maar. Vor vier Jahren lautete das Thema ‘CD-ROM und Online’, danach war es die ‘Mindrevolution’, im letzten Jahr die ‘Telepolis’ und kürzlich ‘Internet und Politik’.

‘Ich bin der Verbrecher, den Stoiber gern einsperren würde’, rief der Holländer Geert Lovink in den Saal des Europäischen Patentamts in München, und mehrere hundert Professoren, Manager, Beamte und Journalisten aus aller Welt, die zuvor dem bayerischen Ministerpräsidenten zugehört und höflich applaudiert hatten, applaudierten nun wesentlich lebhafter dem Medientheoretiker und Internetaktivisten Lovink. Kurz zuvor hatte Stoiber die Tagung der Akademie eröffnet und das Internet einerseits gelobt, weil es die Wirtschaft wettbewerbsfähig mache, dem Bürger Zeit spare und so ermögliche, sich wieder mehr der Tradition und Brauchtumspflege zu widmen, und andererseits kritisiert, weil es Pornohändlern, Kinderschändern und Terroristen den Weg ebne. Lovinks Einlassung bezog sich auf Stoibers Terroristen-Angst. Er, Lovink, sei der Mann, der die Veröffentlichung des elektronischen Magazins Radikal zu verantworten habe, wegen dem die PDS-Politikerin Angela Marquardt sich kürzlich vor Gericht verantworten mußte. Das Magazin enthält unter anderem Anleitungen für die wirksame Störung technisch entwickelter Gesellschaften, beispielsweise die Lahmlegung des Eisenbahnverkehrs. Marquardt hatte auf ihrer Homepage einen Link auf das Magazin veröffentlicht.

Lovink betreibt in Amsterdam ein freies Bürgernetz, das er sorgsam vor kommerziellen und politischen Interessen abschirmt. Die Unabhängigkeit erreicht er mit Hilfe einer eigenen Firma, die Gewinne macht, und die Gewinne steckt er in das Bürgernetz. Es ist ein Forum, in dem wirklich alles gesagt werden darf, was gedacht wird, und es ist nicht das einzige auf der Welt. Vor allem in den USA, so berichteten zahlreiche Redner, experimentieren schon Hunderttausende von Bürgern mit solchen Netzen, beteiligen sich an öffentlichen Diskussionen und greifen in politische Debatten ein.

Das Internet kann also die Demokratie stärken, lernten wir auf der Konferenz. Allerdings solle der Staat endlich einsehen, daß er Daten-Autobahnen bauen muß, sagten die aus aller Welt eingeflogenen Referenten. Und zum Netizen steige der Citizen nur auf, wenn er sich einen Computer mit Modem zulegt, dann aber sei ein neues authentisches Zeitalter praktisch nicht mehr aufzuhalten. Die Chance für eine globale Polis, deren Angelegenheiten von freien Weltbürgern via Internet geregelt werden, sei da.

Leider erinnert uns das ein wenig an die Diskussion vor der Einführung des Privatfernsehens, da war auch viel von Demokratie und besserer Information die Rede, und tatsächlich wurden wir dann ja auch gründlich über das Treiben frühreifer Schulmädchen in den 70er Jahren informiert. Im World Wide Web gab es vor wenigen Jahren kaum kommerzielle Seiten. Heute beträgt ihr Anteil schon sechzig Prozent, bis zum Ende dieses Jahrzehnts wird er nahe bei hundert Prozent liegen. Bürgernetze wird es dann immer noch geben, und wahrscheinlich können sie auch einiges bewirken in Dingen, in denen es um den Kanaldeckel geht.

Wir haben trotzdem die von den Akademie-Referenten beschworenen Chancen schon mal genutzt und per E-Mail in einer außerparlamentarischen Anfrage an den Bundeskanzler formuliert: ‘Findet die Bundesregierung es richtig, Normalverdienern durch permanente Erhöhung der Steuern, Gebühren und Sozialabgaben das Einkommen zu kürzen, Rentnern die Rente zu beschneiden und Arbeitslosen das Arbeitslosengeld zu stutzen, einer 35jährigen Staatssekretärin aber den Wechsel in die Industrie mit 180 000 Mark Übergangsgeld zu honorieren?’

Und was soll man sagen? Der Bundeskanzler hat zwar noch nicht geantwortet, aber nur drei Tage später lasen wir in der Zeitung, die Bundesregierung habe beschlossen, die Übergangsgelder zu kürzen. Wenn das mit der elektronischen Demokratie so tadellos klappt, werden wir demnächst Herrn Blüm anmailen, er möge doch mal die Einzelheiten unserer Rente mit uns durchgehen. Auch die türkischen Kurden-Massakrierer und chinesischen Menschenrechtsverletzer wurden von uns in einen nichtkonfrontativen Dialog verwickelt. Antworten bekamen wir noch nicht, aber die Demokratie haben wir damit gestärkt.

Höhnisches Gelächter

Um nur ein Beispiel zu nennen: Der CDU-Politiker Rainer Eppelmann hat kürzlich gefordert, die Wohlhabenden stärker an der Steuerlast zu beteiligen und Kursgewinne auf Aktien zu besteuern. Der gute Eppelmann erntete Gelächter bei den Wohlhabenden. Besteuert nur, schrieb das Wirtschaftsmagazin Capital, alles, man kann Aktien auch in der Schweiz, in Luxemburg und überall auf der Welt kaufen. Schweizer und Luxemburger Banken haben sich auch schon über Theo Waigels Quellensteuer gefreut und die Milliarden-Vermögen aus Deutschland eingesackt. Dieses Gelächter hören wir wieder bei der Maschinensteuer. Wenn immer mehr Menschen durch Maschinen ersetzt und arbeitslos werden, so der Gedanke, dann muß ein Teil dessen, was mit diesen Maschinen erwirtschaftet wird, zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit und der Renten herangezogen werden. Geht aber nicht, weil deutsche und ausländische Unternehmen ihre Maschinen dann überall arbeiten lassen, außer in Deutschland.

Aus solchen Gründen muß sich der Staat sein Geld vom kleinen Mann holen, und der Große bestimmt selbst, wieviel er abgibt. Das Gleiche haben wir bei der Ökosteuer. Die geht auch nicht, denn wiederum outen sich die Kapitaleigner als vaterlandslose Gesellen und sagen: Wenn ihr das macht, gehen wir ins Ausland. Wir sollten uns also darauf einrichten, daß bestimmte Dinge nicht mehr gehen, auch wenn die Mehrheit dafür wäre. Es wird dann allerdings auch zunehmend gleichgültiger, wer in den Parlamenten gerade das Sagen hat. Mehr Markt, mehr Internet und weniger Demokratie – das wird wohl heißen, daß wir in unserer zum Industriestandort planierten Heimat unter 99 Varianten eines Mercedes-Chrysler-Mitsubishi mit Allradlenkung und Internet-Anschluß wählen und uns damit satelliten- und computergesteuert in den Stau begeben dürfen, aber nicht mehr zu bestimmen haben, wie wir leben und arbeiten wollen. Das wird von der neuen Nomenklatura zwischen Sindelfingen, Redmond und Osaka entschieden, und den Arbeitstakt für die Restbeschäftigen in Europa geben die Asiaten vor.

Da tröstet es doch sehr, wenn wir auf den neuen elektronischen Spielwiesen Demokratie wenigstens noch simulieren dürfen. Wer real nichts mehr zu bestimmen hat, kann zumindest virtuell mitreden, und das ist, nebenbei, bequemer als in der Realdemokratie, und sogar umweltfreundlicher. Wenn wir jetzt Zoff haben mit unserer Regierung, brauchen wir nicht mehr auf die Straße gehen, sondern können die Regierung mit Flames, Protestfaxen und E-Mails eindecken, was Zeit, Geld und Energie spart. Statt des Verkehrs auf den Straßen bricht nur das Faxgerät im Kanzleramt zusammen, und statt des Kanzlers stürzt der Mail-Computer ab.

Mag es auch egal sein, wen wir wählen, es wird auf jeden Fall schöner dank Televoting. Wir müssen uns nicht mehr ins Wahllokal bemühen, sondern klinken uns ins Internet ein und machen unter http://www.bundestagswahl2004.de unser Kreuzchen, wo wir wollen. Die umständliche Briefwahl entfällt, und die Wahlbeteiligung wird steigen, denn auch die Sonntagsausflügler, Urlauber, Auslandsreisenden können von unterwegs via Handy und Laptop ihr Kreuz senden. Und kaum sind die Wahllokale geschlossen, hat der Computer auch schon sämtliche Stimmen gezählt, die stundenlange Hochrechnerei fällt aus, und die automatischen Danksagungen der Elefantenrunde an die Wähler erledigt eine Computeranimation.

Auf Dauer ist es natürlich ein wenig langweilig, bei einem alle vier Jahre stattfindenden Ereignis nur einmal mit der Maus zu klicken. Dafür seinen Computer extra einzuschalten, lohnt die Mühe nicht, daher wird man die Sache ziemlich rasch multimedial aufpeppen und – unser globales Dorf soll schöner werden – den Wahlakt als Computerspiel gestalten. Da gleiten dann, begleitet von Techno-Sound, die Tanker von CDU, CSU und SPD über den Bildschirm, computeranimierte rote Socken tanzen in der linken oberen Ecke das Ostalgie-Ballett, von rechts marschieren Fallschirmspringerstiefel ein, unten wachsen Graswurzeln aus dem Boden, und durch das Gewusel hindurch schlängelt sich wendig ein Schnellboot mit der Aufschrift FDP. Der Wähler sitzt davor und ballert mit seinem Joystick wahllos oder auch gezielt auf das Gewimmel, und wer den Beschuß bis zuletzt übersteht, bekommt die Wählerstimme. So macht Wählen wieder Spaß, jegliche Staatsverdrossenheit schwindet, und die BRD wird umbenannt in FED, Funny Electronic Democracy.

Süddeutsche Zeitung, 25.02.1997


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