Allgemeine Zeitung Mainz, SAMSTAG, 20. JANUAR 2018
„NoGroKo“ spukt in SPD-Köpfen
GASTBEITRAG
Sozialdemokraten dürfen ihren Oppositionsgefühlen auf dem Parteitag nicht nachgeben
Von Christian Nürnberger
Die SPD hat bei der letzten Bundestagswahl fünf Prozent verloren, die CDU sieben und die CSU mehr als zehn. Dennoch gebärdet sich Alexander Dobrindt seit Monaten, als hätte die CSU 45 Prozent gewonnen und als stünde ihr das natürliche Recht zu, die CDU zu dominieren und die SPD in eine große Koalition zu prügeln. Man muss kein Genosse sein, um zu verstehen, dass die SPD keinen Bock hat auf eine Koalition mit dieser CSU, die auch noch Teile des AfD-Programms zu ihrem eigenen macht, von einer „konservativen Revolution“ raunt und so tut, als ob sie hinter 1968 zurückwolle.
Daher wäre es kein Wunder, sondern vor allem ein Verdienst des Zwergenaufstandsbändigers Alexander Dobrindt, wenn sich morgen auf dem SPD-Parteitag die sozialdemokratische Seele aufbäumte und entschiede: Mit uns nicht. Die Sehnsucht der SPD nach Opposition ist verständlich und groß.
Und doch darf sie ihr nicht nachgeben. Ihr nachgeben hieße: Minderheitsregierung oder Neuwahlen irgendwann in diesem Jahr. Neuwahlen hieße: Es könnte Herbst werden, bis Deutschland eine neue Regierung hat – eine Zumutung für alle Partner der EU. Und die SPD käme womöglich unter 20 Prozent.
Also Minderheitsregierung? Sie gilt vielen, die sich für besonders hip halten, nicht als Notlösung, sondern als Clou. Würde das Parlament aufwerten, sagen sie. Würde zu ernsthaften Debatten im Bundestag führen. Würde unsere Demokratie nicht nur aushalten, sondern sogar stärken.
Unsere Demokratie muss aber schon viel zu viel aushalten: Die Spaltung zwischen Arm und Reich, explodierende Mieten, Enteignung der Sparer, legalisierten Steuerbetrug, das Treiben der Bonusbanker, die Macht von Konzernen wie Google und Facebook, die schwierige Integration der Flüchtlinge, die Überforderung der Lehrer in den Schulen, die Folgen der Digitalisierung, den Terror, und seit der letzten Wahl sitzt nun der Feind der Demokratie im Haus der Demokratie: die AfD.
Statt Sternstunden des Parlaments könnten wir erleben, dass das eh schon nervige Taktieren der Parteien und ihr zäher Kampf um politische Geländegewinne und mediale Aufmerksamkeit noch größere Blüten treibt. Und Angela Merkel, die Chefin einer Minderheitsregierung, verlöre an Gewicht in internationalen Politikerrunden, sehr zur Freude der Herren Orbán und Kaczynski. Vielleicht würde sie auch sagen: Minderheitsregierung? Ohne mich.
Was dann? Welches Greenhorn aus der CDU könnte Merkel ersetzen und mit Macron den stockenden EU-Motor auf Touren bringen? Wem wäre gedient, wenn es sich die SPD mit Nahlesscher „Ätschibätschi“- und „auf-die-Fresse“-Rhetorik in der Opposition bequem machte?
Wenn sich morgen herausstellen sollte, dass die beiden großen Volksparteien nicht mehr in der Lage sind, eine stabile Regierung zu bilden, könnte die Schmerzgrenze unserer Demokratie überschritten sein. Deshalb muss sich der Parteitag von der „NoGroKo“-Stimmung verabschieden. Der richtige Zeitpunkt für „NoGroKo“ wäre vor vier Jahren gewesen. Damals hat sich die SPD ohne Not für eine große Koalition entschieden. Das war ein Fehler.
Sich nach der Wahlschlappe von 2017 für die Opposition zu entscheiden war richtig. Aber zwischen damals und heute liegt das Scheitern von Jamaika. Die Lage jetzt ist eine andere. Sich jetzt für „NoGroKo“ zu entscheiden, wäre der nächste Fehler. Darum muss die gute alte SPD jetzt beweisen, dass auf sie Verlass ist.
Und sie sollte das nicht zähneknirschend tun, sondern freudig, von dem Willen beseelt, diesmal Nägel mit Köpfen zu machen, die Probleme anzupacken und Strategien zu entwickeln für die zahlreichen ungelösten Probleme Deutschlands, Europas und der Welt.
Es ist kein Naturgesetz, dass der Juniorpartner einer Koalition die nächste Wahl verlieren wird. Es ist auch kein Naturgesetz, dass die Volksparteien ihr Volk verlieren. Es liegt an ihnen, es zurückzugewinnen. Ihre letzte Chance dafür bietet sich ihnen in den nächsten vier Jahren. Sie wird nur zu nutzen sein, wenn CDU, CSU und SPD die nächste GroKo beherzt als ihr gemeinsames Projekt anpacken.
Unser Gastautor
Unser heutiger Gastautor Christian Nürnberger ist als freiberuflicher Publizist tätig. Foto: Nürnberger
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