Klickt euch selbst!

Vernetzt, verletzt, verheizt: Bemerkungen eines Cyber-Skeptikers

Computeridioten haben’s schwer. Im Augenblick stehen sie zwar als Netsurfer, Trendsetter, Cybernauten, Digerati und Eroberer digitaler Welten ganz oben auf der In-Liste, aber es ist abzusehen, daß sie schon bald wieder dort landen werden, wo sie hergekommen sind: auf der Out-Liste. Dort standen sie seit Beginn der achtziger Jahre, als es schick war, die Volkszählung abzulehnen und beim Thema Computer den Großen Bruder zu beschwören.

Jeder, der mit Computern zu tun hatte, fürchtete damals die Partyfrage: ‘Was machen Sie denn so?’ Und wußte schon: Ob er nun wahrheitsgemäß vor sich hinmurmelt ‘Ich mache mit Computern rum’, oder sagt ‘Ich schlachte täglich einen Hund’ – es kam aufs Gleiche raus. Er war eine peinliche Figur, kontaktscheu, gestört und immer ein wenig bleich. Ein Computeridiot eben.

Die Lage änderte sich entscheidend zu seinen Gunsten im vergangenen Jahr, als die Intellektuellen das Internet entdeckten und Hamburger und Münchner Nachrichtenmagazine, Wochenzeitungen und sogar Frauenzeitschriften zum Anschluß bliesen. Seitdem wollen alle ins Internet.

Der Computeridiot, der schon seit Jahren darin ‘surfte’, es aber nie so zu nennen wagte, wird auf Partys seither als guter Freund vorgestellt, der ‘auf seiner Visitenkarte schon eine E-Mail-Adresse hatte, als sie noch kein Statussymbol war, und alle glaubten, das Handy sei es’.

Der zum Avantgardisten mutierte Techie mag ein Idiot sein, dumm ist er trotzdem nicht, denn er sieht schon, was als Nächstes kommt: Ein paar Jahre werden die Intellektuellen den Cyberspace noch als die größte Entdeckung der neueren Weltgeschichte feiern, weltumstürzende Veränderungen auf uns zukommen sehen, kühne Verbindungen von Platons Ideenlehre zu den Weiten des virtuellen Online-Alls ziehen, abermals die Neuzeit samt Atomzeitalter und Postmoderne verabschieden und die total digitale postindustrielle Freizeit-, Cyber- und Informationsgesellschaft einläuten. Aber irgendwann wird einer merken: Von der virtuellen Pizza wird keiner satt, und die reale, aufwendig übers Internet bestellte Pizza kommt genauso lauwarm und pappig ins Haus wie die telephonisch bestellte. Der von Online-Propagandisten so genannte Besuch im virtuellen Museum oder auf dem virtuellen Oktoberfest erschöpft sich im Blättern von Bildschirmseiten, kostet Telephongebühren, befriedigt Ansprüche auf eine graphisch hochwertige Wiedergabe von Kunstwerken nicht halb so gut wie ein Bildband oder Ausstellungskatalog, und die Faszination der Oktoberfest-Melange aus Hendln, Bier und Riesenrad wird sich einem Netsurfer in Timbuktu via Internet auch nicht richtig erschließen.

Wer je übers Internet herauszubekommen versucht hat, warum der Gründonnerstag Gründonnerstag heißt oder wie hoch der Kurs des ECU gegenwärtig steht, wird die Informationsgesellschaft und Bill Gates’ Gerede von Information at your fingertips in neuem Licht betrachten. Und auf Dauer kann den Netsurfern dieser Welt auch kaum verborgen bleiben, daß sie nach stundenlangem Surfen weder Sonne, noch Wind, noch Wasser und schon gar nicht den Geschmack von Freiheit und Abenteuer abbekommen, sondern nur 1001-mal mit der Maus geklickt haben.

Trend-Redakteure, die ihre verspätete Internet-Entdeckung nun zur neuen Lebensform mit Kultstatus aufblasen, sagen durchaus, wenn auch ungewollt, die Wahrheit. Es ist tatsächlich alles nur virtuell, was die Netze so zu bieten haben, so virtuell wie die neuen Kleider des nackten Kaisers. Wer morgens seine Maus sattelt, um ins Internet einzufahren, hockt vor einer maximal 17 Zoll in der Diagonale messenden Glotze und verläßt diese am Abend mit Kreuzweh, tränenden Augen und steifen Gliedern. Wirklich erlebt hat er eigentlich nichts; es sei denn, er betrachtet die Homepages der Deutschen Bank oder des Chemiekonzerns Hoechst als Erlebnis.

Der erste, der das alles gemerkt hat, wird sofort einen Bestseller schreiben, darin das Internet entmystifizieren und die zur Cybernautik bekehrte Menschheit mit der provozierenden These überraschen, das Internet sei ja wie Fernsehen, nur schlechter, wenn auch interaktiv. ‘Ihr geht online, ich in den Biergarten’ wird der schockierende Titel dieses Buches lauten. Und die Trendredakteure werden sich auf die Schenkel klopfen vor Lachen über jene Netsurfer, die sich auf ihren Briefkästen die Zustellung von Postwurfsendungen und Reklame verbitten, die gleichen auf Hochglanz polierten Werbeprospekte im Internet aber so andächtig bestaunen, als enthielten sie geheime Offenbarungen.

Keule der Verachtung

Das ist der Tag, an dem die Keule der Verachtung wieder auf den Computer- Idioten herniedersausen wird, es sei denn, er findet Gefallen an seiner Rolle als Trendsetter und trifft seine Vorkehrungen. So könnte er schon mal mit Homebanking aufhören und wieder in die Filiale seiner Bank gehen. Dort erfreut er sich zusehends einer sehr zuvorkommenden Behandlung. Die Freundlichkeit gilt möglicherweise nicht ihm persönlich, wahrscheinlich sitzt hinterm Bankschalter nur die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, aber egal, sowieso ist Homebanking kaum bequemer, nur selten billiger und oft unzuverlässiger als das alte Verfahren.

‘Aber die elektronische Post!’ rufen die Online-Propagandisten, ‘ist es nicht wahnsinnig anachronistisch, einen Brief mit dem Computer zu schreiben, ihn dann zu drucken, einzutüten, zu frankieren, zur Post zu tragen, ihn über weite Distanzen befördern und schließlich von teurer menschlicher Arbeitskraft überbringen zu lassen?’ Ja, das ist anachronistisch, ein wahnsinniger Aufwand, ein Luxus – und die unausgesprochene Botschaft an den Adressaten: Du bist mir diese Mühe wert.

Wer die Fron des Briefeschreibens auf sich nimmt, strengt sich auch beim Schreiben an, bemüht sich um Inhalt, gutes Deutsch, korrekte Orthographie. Dagegen die elektronische Post: Zahllos sich vermehrende, flüchtig hingesudelte Nichtigkeiten voller Tippfehler müllen die Festplatte zu und nerven mit ihrem Anspruch, sogleich beantwortet werden zu wollen.

Bleibt das Internet. Braucht man es wirklich? Daß die Zeit-Redakteure es toll finden, leuchtet unmittelbar ein. Endlich können sie ihre langen, aber ursprünglich noch viel längeren Schöpfungen ungekürzt und durch zahlreiche Hyperlinks erweitert wenigstens ins Internet stellen und ihrem Anliegen den Raum geben, den es braucht. Aber unser Trendsetter, soll er, nur um in fünf Jahren wieder en vogue zu sein, sich wirklich der Möglichkeiten des Computernetzes – Unterhaltung, Kommunikation und Fakten, Fakten, Fakten – berauben?

Er kann es getrost tun. Der Unterhaltungswert des Netzes liegt noch immer weit unter Karl Moiks Musikantenstadl. Nutzen tut es einem weniger als Heynes Ratgeber-Bibliothek, und das Plappern per Tastatur – neudeutsch Chat genannt und inhaltlich nichts weiter als CB-Funk unter erschwerten Bedingungen – ist auf Dauer auch ein wenig ermüdend.

Also offline gehen, abschalten. Mit dem ersparten Geld – es kostet ja nicht nur Monats-, Telephon- und Zusatzgebühren, man braucht auch dauernd das noch schnellere Modem, die bessere ISDN- Karte, den neuesten Browser, demnächst die Set-Top-Box – und der ersparten Zeit ließe es sich kommod irgendwo auf dem südlichen Atlantik auf realen Wellen ganz real surfen.

Aber dann, am Ende dieses Jahrtausends, wenn sich unter den heutigen Verkündern des neuen Äons herumgesprochen hat, daß der neue Planet nur ein neues Medium ist, das hauptsächlich als Vertriebskanal und zur Verbreitung von Werbung dient, sollte, wer als Trendsetter gut dastehen will, auf die Partyfrage antworten: Ich bin Aktionskünstler, ich zertrümmere Computer mit dem Vorschlaghammer.

Süddeutsche Zeitung, 30.08.1996


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