Der Groove aus der Gruft

Wenn es Gott gibt, dann schwänzt er den Kirchentag

Alle zwei Jahre das gleiche Wunder: Eine uralte Dame legt sich unter das Messer des Schönheitschirurgen, räumt die Kosmetikregale der Drogerien ab, begibt sich ins Scheinwerferlicht, wirbelt wie Marika Rökk übers Parkett und ruft in die Menge: „Seht her, wie jung ich bin; seht her, wie modern ich bin; laßt uns raven, grooven, schmusen, abhotten und ganz viel Spaß haben.“

Und die Jugend, angelockt von diesem zeitgemäßen Ton, kommt; denn trotz finanzieller Probleme hat die Dame noch immer Geld genug, um eine Party zu schmeißen. Deshalb findet die Jugend die Alte ziemlich cool und nimmt es ihr auch nicht übel, daß sie irgendwann doch noch ihre alten Geschichten erzählt, zumal sie sich redlich müht, das Altbekannte möglichst trendy zu stylen. Zweitausend Jahre ist die Dame alt; sie heißt Ecclesia oder Kirche, und in Stuttgart hatte sie gerade wieder ihre tollen Tage.

Nun geht die Dame, wie immer, in dem beschwingten Gefühl nach Hause, der Aufwand habe sich gelohnt. Und ihre verbeamteten Angestellten dürfen verlautbaren, die Party sei doch auch diesmal wieder ein großer Erfolg gewesen – so viele Besucher, so viel Jugend, und die Tagesschau hat auch berichtet. Die Chefin aber versinkt, ermattet von den Strapazen, in einen zweijährigen Erholungsschlaf und kann deshalb nicht sehen, daß das Interesse nicht direkt ihr gegolten hat. Eine konsumfreudige Freizeit- und Erlebnisgesellschaft genießt dankbar jedes Spektakel, egal, wer es ausrichtet. Die Party wird daher die Ostdeutschen nicht dazu bewegen, sich wieder zur Kirche zu bekennen; die Westdeutschen hindert sie nicht am Kirchenaustritt, in den Gottesdiensten fehlt die Jugend, und die Zahl der Menschen, die sich noch in der Kirche engagieren, sinkt.

Die Angestellten der alten Dame kennen das Problem und haben schon alles probiert, um es zu lösen – ohne Erfolg. Ratlos, wie sie sind, bedürfen sie nun des Rates von Mc Kinsey und diverser Werbeagenturen. Einst haben die Marketing- und Werbeleute die Kirche als Lehrmeisterin bewundert und gelernt, daß sich eine Marke am besten verkauft, wenn es gelingt, sie zum Religionsersatz zu machen. Jetzt will die Lehrmeisterin von den Lehrlingen erfahren, wie man es anstellt, die Religion zum Markenersatz zu machen.

Damit gestehen die Bischöfe, Dekane und Superintendenten ein: Wir sind keine Seelsorger mehr, wir sind Manager, wir hetzen von Andacht zu Andacht, und Jesus ist nicht mehr der Herr der Welt, sondern ein Produkt, das wir vermarkten müssen. Damit die Kirche im Kapitalismus überdauern kann, muß sie von ihm lernen. Zwar wollen wir noch immer für wahr halten, was uns einst versprochen wurde, daß nämlich unser aller Herr wiederkommen und das Reich Gottes errichten werde, aber darauf warten wir jetzt schon ziemlich lange, darauf wagen wir nicht mehr so richtig zu bauen, und wenn wir noch weitere zwei Jahrtausende warten sollen, dann muß die Kirche im Kapitalismus überdauern, indem sie von ihm lernt.

Also wollen wir die Welt nicht mehr länger als Gottes Schöpfung betrachten, sondern als Markt, auf dem man sich behaupten muß. Konkurrenz belebt das Geschäft, und darum begrüßen wir unsere Mitbewerber, die Juden und Moslems, die Hindus, Buddhisten und alle, die sich auf dem Markt der Weltanschauungen um den Sinn-Nachfrager, den Kunden also, bemühen. Gerne öffnen wir unseren christlichen Spezialitätenhandel und erklären uns bereit, auch die Produkte der Konkurrenz in unser Sortiment aufzunehmen, in der Hoffnung, die anderen tun es auch.

Der Kunde ist König, und wenn er Buddha-Figürchen, Schamanen-Tänzchen und Sufi-Amulettchen im christlichen Gottesdienst wünscht, sind wir die Letzten, die ihm das verwehren. Das Bemühen, Fernstehende wieder näher an die christliche Botschaft heranzuführen, heiligt jedes Mittel: Produktpflege, Zielgruppenmarketing, Entertainment, Erweiterung des Sortiments – das alles hat die alte Dame auf ihren Kirchentagen eigentlich schon immer praktiziert.

Vor dreißig Jahren erzählte sie den Jungen von einem Hippie namens Jesus Christ Superstar, der aussah wie Che Guevara und sang wie Bob Dylan. Ein paar Jahre später wurde Jesus Christ zum Guru, sah aus wie Baghwan, und in den Buden der Theologiestudenten schwängerte der Duft von Räucherstäbchen das Jaffa-Möbel-Ambiente. Die Zeit schritt weiter, man hörte regelmäßig von toten Fischen im Rhein und in der Nordsee und lernte Provinznester kennen wie Seveso, Bhopal, Harrisburg, Gorleben und Wackersdorf.

Da färbte sich Jesus auf den Kirchentagen grün, rief zur Bewahrung der Schöpfung auf und zeigte viel Verständnis für Frauen in lila Latzhosen, die im Schein der Mondin gemeinsam menstruierten. Dann wollte Ronald Reagan die Russen totrüsten und Deutschland mit Atomraketen zupflastern, und die alte Dame band Jesus das Tüchlein der Friedensbewegten um den Hals. Dieses Jahr präsentierte sie uns Jesus als DJ, Gangsta Rapper und Multikulti in einem, der seinem Publikum mit Techno einheizte und verkündete, das Leben sei eine Love Parade. Nicht mehr Salz der Erde soll die Kirche sein, sondern Zucker.

Bei aller Liebe zu zeitgemäßem Jesus-Bildchen-Kitsch pflegt die Alte aber auch ihre Traditionen, den „Markt der Möglichkeiten“, ein Wort, das die Wirklichkeit schärfer trifft, als es den Wortschöpfern wohl bewußt ist. Die Kirche verharrt in Möglichkeiten, nie wird auch nur eine einzige real. Seit Jahrzehnten wird auf diesem Markt Dritte-Welt-Kaffee verkauft, die Gesichter der Verkäufer wechseln oder altern, aber sie verkaufen heute kaum mehr als vor 25 Jahren, und daran wird sich auch in den nächsten 25 Jahren so wenig ändern wie an den Machtverhältnissen auf dem Welt-Kaffeemarkt. Es reicht, wenn man den Leuten sagt, ein fairer Handel mit den Armen, das wäre eine Möglichkeit.

Zu mehr kommt es nicht, weil einen Stand weiter ein anderes Anliegen bedacht sein will: Schwule, Lesben, Rocker, Biker, Organtransplantierte, Tiere oder Christen in der SPD. Jedes dieser Grüppchen arbeitet sich „vor Ort an ganz konkreten Problemen“ ab und glaubt, damit seinen Teil zur Lösung der Weltprobleme beizutragen. Tatsächlich aber kommen sie einer „Lösung der globalen Herausforderungen“ um keinen Schritt näher, denn das Vorhaben gleicht der Aufgabe, ein Gebirge aufzuschichten, wird aber angegangen, indem jedes Grüppchen sein eigenes Maulwurfshügelchen aufwirft. Das kann auch gar nicht anders sein in einem „Leib Christi“, der sich in immer mehr sich verselbständigende Körperteile auflöst, die unabhängig voneinander durch die Welt geistern und ihr jeweils ganz privates Schrebergärtchen kultivieren.

Am liebsten aber löst man die Probleme dieser Welt theoretisch. In den Diskussions- und Vortragshallen machen die Berufs-Christen, die Promi-Christen und die Quer- und Vordenker der Nation sehr viele und sehr große Worte, welche sich auf Tonnen von Papier niederschlagen, in dem dann nachzulesen ist, daß man brüderlich gestritten, kontrovers diskutiert und ernsthaft miteinander gerungen habe. Irgendwo im weiten Raum der Kirche muß es ein großes Lager geben, in dem sich die Papierberge dieser Kirchentage türmen.

Aber die Berge haben ihren Sinn, denn von Zeit zu Zeit sucht die Denker und Lenker der Kirche ein schreckliches Gespenst heim, das am hellichten Tag mit einer brennenden Laterne über die Marktplätze rennt und schreit: „Ich suche Gott! Ich suche Gott!“ Die seltsame Gestalt mit dem irren Blick behauptet, wir hätten Gott getötet, und fragt: Wohin bewegen wir uns nun? „Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Hören wir noch nichts von dem Lärm der Totengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch nichts von der göttlichen Verwesung?“

Friedrich Nietzsche hat diesen „tollen Menschen“ zum ersten Mal gesichtet und erzählt, der Wahnsinnige sei dann in verschiedene Kirchen eingedrungen, habe darin sein Requiem aeternam deo angestimmt und, zur Rede gestellt, gefragt: „Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?“

Heute kann das nicht mehr passieren, denn wenn heute der tolle Mensch kommt, öffnen die Kirchenmänner die Falltür ihres Kirchentagspapier-Lagers, und der Tollwütige wird unter den Tonnen von Papier begraben. Damit niemand dessen Schreie durch die Papierberge hört, feiern die Kirchenmänner eine Techno-Messe und finden dann, daß es sich doch ganz kommod leben läßt in der Gruft.

SZdigital


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