Von: Susanne Will, Hersbrucker Zeitung, 11. April 2015
HERSBRUCK – Mit Christian Nürnbergers neuem Buch „Die verkaufte Demokratie – Wie unser Land dem Geld geopfert wird“ ist es ein wenig so wie mit Jonathan Safran Foers Bestseller „Tiere essen“: Eigentlich weiß man es ja schon die ganze Zeit. Man kennt die Ungerechtigkeiten. Man weiß über himmelschreiende Zustände. Man kennt die Zusammenhänge. Ja, man könnte was ändern, in Froers Fall, keine Tiere mehr zu essen. Wer Nürnbergers Ist-Analyse über „unser Land“ gelesen hat, könnte in Depression verfallen. Könnte noch mehr zum Verweigerer werden, zum Politiker-Hasser, zum Wut-Bürger, man könnte ohnmächtig vor Aktionären, Unternehmern, Finanzhaien und Managern kapitulieren oder resignieren. Doch im zweiten Teil, da wird es hell: Die Welt sei besser als ihr Ruf, meint der 64-Jährige. Und das – und wie sich die Lage drehen könnte – erklärt er auch anhand von Beispielen aus der Hersbrucker Schweiz.
Als sich Christian Nürnberger im Frühjahr 2013 auf die Ochsentour für die Bundestagswahl machte, war bereits klar, wie aussichtslos das Unterfangen des Sozialdemokraten war: Parteifunktionäre hatten den Seiteneinsteiger trotz breiter Zustimmung auf Listenplatz 33 gekegelt. Und dennoch: Die Wähler goutierten es, dass er frühmorgens Brezeln verteilte, mittags bei Bauern in die Ställe schaute und abends Gewerkschaften den Rücken stärkte. Der in Schönberg bei Lauf geborene Autor erhielt das neuntbeste Erststimmenergebnis. Wenn er heute im Bundestag sitzen würde, dann wäre er darüber „ziemlich unglücklich“, sagt er im Buch. Er hätte, da ist er sich sicher, keinerlei Einfluss auf die SPD gehabt, die als Partei reagiere wie alle anderen: Sie produziere Parteikarrieristen, die sich an ihre über Jahre hinweg hart erarbeitete Macht oder Stellung klammerten, sie produziere Politiker, von denen sich der Bürger mit Grausen abwende.
Dass aber Politik und Macht nicht den Großen überlassen werden müssten, demonstriert Nürnberger in dem Buch. Beispiele dafür fand er während seiner Recherche, die sich auch über die Zeit als Kandidat hinzog, in der Hersbrucker Schweiz.
Zunächst jedoch zieht er in glasklarer, sehr kurzweiliger Sprache, fernab vom Politiker-Kauderwelsch, eine dunkelgraue, allerdings nie moralinsaure Bilanz zum Zustand Deutschlands: Großunternehmer, die kaum noch Steuern zahlen oder das Geld gleich in Steueroasen verschieben; der Weg der Wertegemeinschaft hin zur Wertpapiergesellschaft; ein Konglomerat von 147 Konzernen, die weltweit rund 40 Prozent der übrigen Wirtschaft beherrschen und großen Einfluss auf die Politik haben; das Erziehungsziel von Kindern, das von dem des mündigen Bürgers verrutscht ist, bis hin zum Soldaten mit marktgängigen Fähigkeiten, um im „Krieg um Marktanteile“ bestehen zu können; die angesichts der Globalisierung nicht mehr nachvollziehbaren Handels- und Produktionswege, deretwegen sich der Autor nicht sicher sein kann, ob nicht auch die Hose für 100 Euro von ausgebeuteten Näherinnen in der Dritten Welt gefertigt wurde; das weltweite Ungleichgewicht, das Menschen in Nussschalen drängt, um in der westlichen Welt zu überleben.
Nürnberger ist herausragend aktuell, selbst die Anschläge von Paris werden verarbeitet, auch die Brandstiftung in Vorra fehlt nicht. Eben so wenig der Witz im Buch: „Wenn ich mir bewusst mache, was ich der Welt antue allein durch die bloße Tatsache meiner Existenz, wäre Selbstmord die konsequenteste Form des Klima-, Umwelt- und Tierschutzes. Aber selbst das stellte einen noch vor die Frage, ob Erd- oder Feuerbestattung dem Planeten weniger schadet.“ Und dennoch: Man könnte verzweifeln am ersten Teil.
Im zweiten zeigt er den Weg raus aus diesem System. Und zwar mit einem Weg zurück – und damit in eine mögliche Zukunft. Seine Beispiele: unter anderem die Initiative „Heimat aufm Teller“. Er erzählt von Hans Klischewski und dessen 24 Kühen, die mehr als seine Familie in Hartenstein satt machen. Deren Produkte keine weiten Wege zurücklegen müssen. Deren Futter ohne Kunstdünger, Fungizide oder Insektenvernichtungsmittel auskommt. Er erklärt anhand der Klischewskis, warum die Ökokuh die ökonomischere ist, warum eine Küche beim „Möbelmacher“ Herwig Danzer in Unterkrumbach die bessere, weil ökologischere ist, er fordert mehr regionale Wirtschaftskreisläufe und erzählt, warum diese kleinen Inseln wie in und um Hersbruck größer werden müssen: „Wo Bürger das Restaurant oder das Café bevorzugen, das Produkte aus der Region verarbeitet, Lehrlinge ausbildet und ehrlich seine Steuern zahlt, wird es eng für Starbucks, McDonald`s, Steakhouse-Ketten und all die anderen multinationalen Schmarotzer, die hier ihr Geld verdienen, unsere Infrastruktur nutzen, aber zu deren Erhalt kaum etwas beitragen.“
Der Wengleinpark, die Citta Slow, die solidarische Landwirtschaft – alles Beispiele aus unserer Region, anhand denen Nürnberger sagt, wie der Ausstieg klappen könnte.
Der kluge Kopf und clevere Denker zeigt, wie man auch den Großen wie Banken, Stromkonzernen oder Google und Amazon die Stirn bieten kann (mit dem Wechsel zu einer Ethikbank, mit der Energieproduktion vor Ort, Google-Alternativen und natürlich der Kündigung des amazon-Kontos). Das ist nicht neu, und das war Froers Zustandsbeschreibung in „Tiere essen“ auch nicht. Aber es rüttelt auf und zeigt: Es gibt sie, die Modelle, „wie wir dieses Land und diese Welt wieder zu unserem Land und unserer Welt machen können“, so Nürnberger.
Christian Nürnberger liest am 26. Juni um 19 Uhr bei den Möbelmachern in Unterkrumbach.
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